Grundsteuer: Musterinformation des StBV
Vorgehen bei Erlass der Grundsteuerwertbescheide
In den letzten Wochen sind vermehrt Rückfragen aus Ihrem Kreis zum Thema „Grundsteuerwertbescheide: Weiteres Vorgehen“ eingegangen. Hier zeichnen sich gegenwärtig verschiedene Fallkonstellationen ab. Der Steuerberaterverband Westfalen-Lippe möchte Ihnen in diesem Zusammenhang mit den folgenden fachlichen und praktischen Hinweisen eine sachdienliche Stütze anbieten. Da die Situation derzeit sehr dynamisch ist, ist schwer einschätzbar, ob sie sich insbesondere durch politische Entwicklungen in den nächsten Monaten ändert.
I. Fehlerhafte Feststellungsbescheide: Erlass der Grundsteuerwertbescheide unter dem Vorbehalt der Nachprüfung / Fortschreibung
Die desolate Datenlage bei der Finanzverwaltung und den Kommunen hat dazu geführt, dass Sie mit Ihren Mandanten die immens aufwendige Informationssammlung innerhalb kürzester Zeit betreiben müssen. Dass sich hierbei versehentliche Fehler oder aber neue Erkenntnisse nach Abgabe der Feststellungserklärung ergeben können, liegt in der Natur des Massenverfahrens. Insofern besteht vielfach das Bedürfnis, die Grundsteuerwertbescheide offen zu halten.
In den letzten Monaten haben wir uns daher – wie die weiteren Steuerberaterverbände und der Deutsche Steuerberaterverband e.V. – gegenüber den Finanzministerien von Bund und Ländern nachdrücklich für die Verlängerung der Frist zur Abgabe der Feststellungserklärungen und den Erlass der Bescheide unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (VdN) eingesetzt. Folgende, zusammengefasste Argumentation lag dem Begehren zugrunde: Der VdN eröffne den Steuerpflichtigen und deren Berater die Möglichkeit, die Daten ohne größeren Aufwand auch nachträglich berichtigen zu können. Andernfalls dürften viele Grundstückseigentümer gegen den Feststellungsbescheid Einspruch einlegen, um die sonst drohende Bestandskraft abzuwenden. Das wiederum würde die Finanzbehörden stark belasten.
Aus dem Kreis der Finanzministerien ist als Resonanz inzwischen zu vernehmen, dass die Vorbehaltsfeststellung eingehend von Bund und Ländern erörtert wurde. Nach mehrheitlicher Auffassung werde es für nicht zielführend und notwendig erachtet, die Bescheide generell verfahrensrechtlich offen zu halten, um Massenrechtsbehelfe zu vermeiden. Bescheide durchgängig mit dem VdN zu erlassen, würde gesetzlich grundsätzlich eine personelle Nachbearbeitung erfordern, was die personellen Ressourcen der Finanzverwaltung um ein Vielfaches übersteigen würde.
In diesem Zusammenhang wurde zudem auf eine Änderungsnorm des Bewertungsgesetzes (BewG) verwiesen. Wegen des Dauercharakters des Bescheids über die Feststellung des Grundsteuerwerts (Feststellungsbescheid) sehe das BewG für Fälle, in denen eine Fehlerkorrektur mangels einer einschlägigen Korrekturnorm in der AO nicht mehr im ursprünglichen Feststellungsbescheid möglich ist, eine fehlerbeseitigende Fortschreibung vor (§ 222 Abs. 3 BewG). Unter Berücksichtigung der Vorlaufzeit bis zur ersten Steuerfestsetzung im Jahr 2025 könne diese Norm die Beseitigung von versehentlichen Fehlern in der Zwischenzeit entschärfen.
Fortschreibungszeitpunkt ist im Falle des § 222 Abs. 3 BewG der Beginn des Kalenderjahres, in dem der Fehler dem Finanzamt bekannt wird, bei einer Erhöhung des Grundsteuerwerts jedoch frühestens der Beginn des Kalenderjahres, in dem der Feststellungsbescheid erteilt wird (§ 222 Abs. 4 BewG). Eine Korrekturmöglichkeit vor der Steuerfestsetzung im Jahr 2025 ist demnach möglich, so dass sich das Haftungsrisiko reduzieren lässt.
Vor diesem Hintergrund und angesichts der jüngst von Bund und Ländern beschlossenen Fristverlängerung zur Abgabe der Feststellungserklärungen bis 31.01.2023 ist der generelle Erlass der Bescheide unter dem VdN zum aktuellen Zeitpunkt leider nicht zu erwarten. Ob sich für Ihren Mandanten zur Nachreichung von Sachverhaltsangaben ein Einspruch gegen den Feststellungsbescheid oder aber eine fehlerbeseitigende Fortschreibung nach § 222 Abs. 3 BewG anbietet, mögen Sie bitte im Einzelfall abwägen.
II. Verfassungsrechtliche Zweifel an den Bewertungsgrundlagen: Einsprüche gegen Grundsteuerwertbescheide
Inzwischen mehren sich Stimmen aus der Praxis, die von Einsprüchen gegen die Feststellungsbescheide als Grundlage für die Steuerbescheide im Jahr 2025 aufgrund verfassungsrechtlicher Zweifel berichten. Teilweise wird zu diesem Rechtsmittel dringend geraten, um die Bescheide offen zu halten und so ein etwaiges Haftungsrisiko zu minimieren. In diesen Fallkonstellationen stellt sich die Frage nach der Aussicht auf Erfolg des Einspruchs.
- Einsprüche mit kurzer Begründung
Grundsätzlich bestimmt § 357 Abs. 3 Satz 3 AO, dass in dem Einspruch „die Tatsachen, die zur Begründung dienen, und die Beweismittel angeführt werden“ sollen. Es besteht demnach keine Verpflichtung zur Begründung, da der Einspruch nur durch Tatsachen und Beweismittel angereichert werden „soll„. Die Begründung kann während des Einspruchsverfahrens bis zum Erlass des Einspruchsbescheids nachgereicht oder ergänzt werden. Auch Rechtsausführungen sind nach Einlegung des Einspruchs nachreichbar. Insofern könnte zum Offenhalten der Bescheide kurzfristig ein Einspruch nebst einem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung mit einem kurzen Verweis auf bestehende verfassungsrechtliche Zweifel an den Bewertungsgrundlagen erwogen werden.
Nach Berichten aus der Praxis scheint dieses Vorgehen aktuell jedoch nicht erfolgreich, um die Bescheide langfristig offen zu halten. Die Finanzverwaltung lehne den Einspruch ab oder rege zeitnah dessen Rücknahme innerhalb einer gesetzten Frist an. Sie verweise unter anderem darauf, dass die Bewertungsgrundlagen rechtswirksam seien und die Finanzverwaltung an geltendes Recht gebunden sei, solange keine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vorliege, dass die Normen verfassungswidrig sind. Auch im Fall eines zur Verfassungswidrigkeit führenden Urteils des BVerfG sei eine rückwirkende Änderung nicht zu erwarten. Eine Aussetzung der Vollziehung komme nicht in Betracht, da keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestünden. Ein Ruhen des Verfahrens komme nicht in Betracht, da die Voraussetzungen des § 363 AO nicht vorlägen.
Soweit ein Einspruch mit kurzer Begründung auf das Offenhalten des Feststellungsbescheids durch einen VdN abzielt, sollte bedacht werden: Der Erlass von Bescheiden unter dem VdN dürfte keine Gewähr für ein langfristiges Offenhalten bieten. Nach § 164 Abs. 3 Satz 1 AO kann die Finanzverwaltung den VdN jederzeit und ohne weitere Begründung aufheben.
- Einsprüche mit umfassender verfassungsrechtlicher Begründung bzw. Nachreichen von verfassungsrechtlichen Gründen im Einspruchsverfahren nebst Klage beim Finanzgericht
Ein langfristiges Offenhalten der Bescheide dürfte aktuell nur erreichbar sein, wenn nach dem Einspruch eine finanzgerichtliche Klage bis hin zum BVerfG mit umfassender verfassungsrechtlicher Würdigung angestrengt wird. Ob allerdings die Bewertungsgrundlagen des Bundesmodells oder aber der Ländermodelle tatsächlich verfassungswidrig sind und ein Verfahren vor dem BVerfG Aussicht auf Erfolg hat, ist angesichts des sehr weiten Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers sehr schwer einschätzbar.
Nach dem Urteil des BVerfG zu den alten Bewertungsgrundlagen für die Grundsteuer verfügt der Gesetzgeber „bei der Ausgestaltung von Regelungen zur Bestimmung der Bemessungsgrundlage (…) über einen weiten Spielraum. Dabei darf er sich in erheblichem Umfang auch von Praktikabilitätserwägungen mit dem Ziel der Einfachheit der Steuerfestsetzung und ihrer Erhebung leiten lassen. Dies gilt in besonderem Maße bei steuerlichen Massenverfahren. Bei der Ausgestaltung des Systems zur Erfassung der Bemessungsgrundlage kann der Gesetzgeber Praktikabilitätserwägungen Vorrang vor Gesichtspunkten der Ermittlungsgenauigkeit einräumen und dabei auch beträchtliche Bewertungs- und Ermittlungsunschärfen in Kauf nehmen, um die Festsetzung und Erhebung der Steuer handhabbar zu halten (allgemein zur Streubreite der Wertermittlung bei Grundstücken vgl. BVerfGE 117, S. 1, 45 ff. m.w.N.). Begrenzt wird sein Spielraum dadurch, dass die von ihm geschaffenen Bemessungsregeln grundsätzlich in der Lage sein müssen, den mit der Steuer verfolgten Belastungsgrund in der Relation realitätsgerecht abzubilden“ (vgl. BVerfG, Urteil vom 10.04.2018 – 1 BvL 11/14, Rn. 131).
Darüber hinaus ist es sehr schwer einschätzbar, welche Grundsätze für die verfassungsrechtliche Beurteilung der neuen Regelungen künftig gelten. Dies liegt auch an dem vom Gesetzgeber neu festgelegten Bewertungsziel. Für das Bundesmodell gilt etwa: Das Ziel soll nach dem Gesetz zur Reform der Grundsteuer nicht der Verkehrswert, sondern der „objektiviert-reale Wert“ sein (vgl. BT-Drs. 19/11085, S. 86). Demnach dürften die verfassungsrechtlichen Grundlagen zur Einschätzung, ob Bewertungsverfahren den Verkehrswert erreichen, nur noch eingeschränkt gelten.
Schließlich ist schwer einschätzbar, ob das BVerfG eine rückwirkende Nichtigkeit der neuen Bewertungsregelungen feststellen würde und Ihre Mandanten damit von einer etwaigen Verfassungswidrigkeit profitieren könnten. Die Urteile des BVerfG zur Vermögen-, zur Erbschaft- oder zur Grundsteuer können als Indiz dafür gelten, dass das hohe Gericht auch künftig eher eine Fortgeltungsdauer der Normen nebst einer Frist für den Gesetzgeber zur Herstellung der Verfassungsmäßigkeit der – dann künftig geltenden – Rechtslage erwägen würde.
- Fazit
Vor diesem Hintergrund dürften sich – auch aus Gründen der Wirtschaftlichkeit – Einspruchsverfahren dann anbieten, wenn ein Verfahren zur Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der Bewertungsgrundlagen vor dem BFH oder dem BVerfG anhängig ist. Die Einspruchsverfahren würden automatisch ruhen (§ 363 Abs. 2 Satz 2 AO) – ohne größeren Aufwand bzw. Kosten zu verursachen. Ein solches Musterverfahren ist leider aktuell nicht bekannt. Sobald sich insoweit Entwicklungen ergeben, werden wir Sie hierüber selbstverständlich informieren.
Soweit Ihre Mandanten den Klageweg beschreiten möchten, empfiehlt sich zur Steigerung der Erfolgsaussichten ein verfassungsrechtliches Gutachten eines anerkannten Verfassungsrechtlers.
III. Musterschreiben an Mandanten
Unter diesem Link erhalten Sie nach erfolgreichem Login in den Mitgliederbereich der stbv.de Site als Angebot ein Musterschreiben, welches Sie in Ihrer Kanzlei zur Kommunikation mit Ihren Mandanten einsetzen und selbstverständlich nach Bedarf anpassen können.